Automobilzulieferer vor immensen Herausforderungen, Juli 2016
Automobilzulieferer vor immensen Herausforderungen
Juli 2016
Eine Gemeinschaftsstudie im Auftrag des Freistaats Sachsen
Führende Automobilhersteller sprechen gegenwärtig davon, dass sich die gesamte Branche in einem ‚epochalen Wandel’ befinde. In der Tat sind nie zuvor derart gravierende Veränderungen bei Markt, Produkt und Prozess zeitgleich aufgetreten. Und noch nie zuvor in der Geschichte der Automobilindustrie hatte die Zulieferindustrie aufgrund ihres heutigen Wertschöpfungsanteils von 70 % einen so hohen Anteil an der Bewältigung eines Strukturwandels zu meistern.
Das Sächsische Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr (SMWA) hat vor einigen Monaten ein Konsortium aus Chemnitz Automotive Institute (CATI) und Netzwerk Automobilzulieferindustrie (AMZ) damit beauftragt, diese aktuellen Entwicklungen und Trends zu analysieren und in einem 2. Schritt deren Auswirkungen auf die Automobilzulieferindustrie in Sachsen zu bewerten. Die Trendanalyse ist abgeschlossen; eine Kurzfassung erscheint unter dem Titel “Die automotive Agenda der Zukunft” als Sonderveröffentlichung des Magazins ‚Autoland Sachsen’ Ausgabe 2-2016.
Neue Märkte, neue Wettbewerber, neue Mobilitätsmuster
Allein die marktbedingten Veränderungen erzeugen in der Automobilbranche strukturelle Veränderungen von erheblicher Tragweite. „Sie führen zu neuen Standorten, ermöglichen neue Marktsegmente und Geschäftsfelder, befördern neue Player, erzeugen neue Präferenzen von Kunden und fordern auch neue Identitäten der Produzenten.“, so Prof. Olle vom Chemnitz Automotive Institute.
Der Trend zu regionalen Verschiebungen bei Produktion und Absatz zugunsten von Emerging Markets, Verschiebungen in den Produktsegmenten, neue Wettbewerber aus der Automobilindustrie und aus anderen Branchen, der Bedeutungszuwachs von Carsharing-Anbietern und Fahrdienstleistern – all dies sind Indikatoren für eine Veränderung, an deren Beginn wir erst stehen.
Produkttrends – emissionsarm und vernetzt
Auf der Produktseite zeichnen sich zwei Innovationsschwerpunkte ab: Innovationen zur Reduzierung von Emissionen, Verbrauch und Gewicht (neue Antriebe, Leichtbau) und Innovationen zur Vernetzung der Fahrzeuge (‚Connected Car‘ /autonomes Fahren). Für alle Innovationen sind heute Elektronik und Software die entscheidenden Enabler und Treiber geworden.
Diese Trends führen nicht nur zur stufenweisen Substitution heutiger Komponenten und Werkstoffe (z.B. Verbrennungsmotoren, Getriebe, konventionelle Fahrwerkskomponenten, Stahl als Werkstoff, Funktionalität und Material von Interieur-Komponenten), sondern zu völlig neuen Fahrzeugkonzepten. Und durch die Vernetzung des Fahrzeugs wird das Auto selbst zum Objekt in der digitalen Welt – mit nahezu unerschöpflichen Möglichkeiten für neue Services und Anbieter von Daten und Informationen.
Prozesstrends – Mega-Plattformen und Industrie 4.0
An der Schnittstelle von Produkt zu Prozess versprechen Mega-Plattformen von > 2 Mio. Fahrzeugen p.a. je Plattform erhebliche Einsparungen für die Automobilhersteller, verändern die Anforderungen an die Zulieferindustrie (Internationalisierung und Volumen) und erhöhen das Risiko für alle Beteiligten. Qualitätsprobleme betreffen nunmehr eine deutlich höhere Zahl von Bauteilen und Fahrzeugen; ggf. führen sie auch zu erheblich höheren Kosten für Massenrückrufe. Ein Indiz hierfür könnte sein, dass 2014 und 2015 die Zahl der Rückrufe weltweit höher lag als die Jahresgesamtproduktion neuer Fahrzeuge.
Die Internetisierung von Produktions- und Geschäftsprozessen (Industrie 4.0) steht erst am Anfang einer Entwicklung, die zu einem Paradigmenwechsel industrieller Fertigung führen wird. Die Automobilindustrie ist sehr stark auf Produkt und Produktion fokussiert, so dass bestimmte Aspekte von Industrie 4.0 deutlich zu kurz kommen. Vernachlässigt wird bislang die durchgängige Digitalisierung in der gesamten Wertschöpfungskette sowie die Neugestaltung von Geschäftsprozessen (von Entwicklungsprozessen bis zur Kundenauftrags-abwicklung). Gerade im letzteren Handlungsfeld kann die Automobilindustrie von anderen Branchen und Kreativitätswettbewerbern lernen.
Fazit
In Summe kommt auf die Branche – Hersteller wie Lieferanten – in den nächsten 10 – 15 Jahren eine gewaltige Herausforderung zu. “Diese Herausforderung wird insbesondere der mittelständischen Zulieferindustrie zu schaffen machen. Denn mit vielen dieser Themen muss heute bereits zeitgleich begonnen werden, um auch in Zukunft wettbewerbs- und zukunftsfähig zu sein”, so Dirk Vogel, der Projektmanager des Netzwerk der Automobilzulieferer (AMZ).
Im II. Teil der Studie, die bis Ende September 2016 abgeschlossen wird, zeigt das Projektteam auf Basis unternehmensbezogener Daten von über 200 Unternehmen mit über 40.000 Beschäftigten auf, welche Risiken und welche Chancen die sächsische Automobilzulieferindustrie in den nächsten Jahren zu erwarten hat.