In Zwickau werden seit 120 Jahren Autos gebaut. Endet mit dem E-Auto die Geschichte?
Ein Artikel von Regina Bruckner / „DER STANDARD“
Lesen Sie hier den kompletten Artikel vom 02. Februar 2025
In Zwickau werden seit 120 Jahren Autos gebaut. Endet mit dem E-Auto die Geschichte?
VW ist in der sächsischen Region quasi Familie. Mit den Sparplänen im Wolfsburger Konzern sind Zukunftsängste zurück. Das Wirtschaftsmodell droht zu erodieren
Karosse aus Holz, Kotflügel und Motorhaube aus weißem Blech, Ledersitze. Ein Auto, das wie eine Kutsche aussieht. Vorn prangt in Goldlettern die Aufschrift Horch. Der Horch 14-17 PS Tonneau ist das allererste Auto, das 1904 in der westsächsischen Stadt Zwickau gebaut worden ist. Ein paar Autofreaks vom Museums-Förderverein haben den Klassiker nachgebaut. Originalgetreu, sagt Thomas Stebich und zeigt auf das Prachtstück. Nach zwölf Jahren Arbeit wurde es fertig.
Stebich ist Direktor des August-Horch-Museums in Zwickau. Ein schmuckes Städtchen, etwas abseits vom Schuss. Die tschechische Grenze ist hier näher als Berlin. Wer mit der Bahn anreist, kommt durch viel Gegend. Zwickau ist aber auch so etwas wie eine Wiege des deutschen Autobaus, älter als Wolfsburg. VW hat hier ein großes Werk. 2020 lief der letzte Verbrenner vom Band, heute werden hier nur noch E-Autos gebaut. Bloß das Interesse der Menschen an den Stromern ist noch überschaubar. Die Automobilwende, hier läuft sie wie in einem Brennglas zusammen. Wohl und Weh sind damit verbunden.
Die Geschichte ist von Höhen und Tiefen geprägt, von wirtschaftlichen Problemen, technischen Rückschlägen, Fastpleiten, persönlichen Zerwürfnissen, Kriegen, Teilung, Wiedervereinigung. Den Grundstein für die Autoproduktion legte 1904 der Ingenieur August Horch (1868–1951), der beim deutschen Autopionier Carl Benz begonnen hatte und nach Zwickau zog. Reiche Fabrikanten wollten ihm hier den Bau eines eigenen Autos finanzieren. Es war Aufbruchszeit für die Autopioniere. Auf Horch geht die Marke Audi zurück, die Teil des einst zweitgrößten deutschen Autoherstellers, der Auto-Union, wurde. Da wo heute Museumschef Stebich durch das Museum führt, wurden einst Autos gebaut.
„Diese Leute leben Auto“, hat Oberbürgermeisterin Constanze Arndt im Rathaus erklärt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde in Zwickau der berühmt-berüchtigte DDR-Trabant produziert, in einem Volkseigenen Betrieb (VEB). VW kam nach der Wiedervereinigung ins Spiel. Das Werk, in dem VW mitten in der Wende zu produzieren begann, war für die Erweiterung der Trabant-Produktion gedacht. Dazu kam es nicht mehr. Stattdessen rollten ab 1993 der Golf und ab 1996 der Passat vom Band. 2020 dann die Wende zur E-Mobilität. Alte Zeiten und neue liegen hier nahe beieinander. Vor dem Museum steht die erste Elektrotankstelle der Stadt.
Jetzt wird geschrumpft
Im Dezember kam nach tagelangen Verhandlungen mit der IG Metall heraus, dass VW bis 2030 insgesamt 35.000 Arbeitsplätze abbauen und Produktionskapazitäten herunterfahren wird. Geschlossen wird kein Werk, vorerst. Aber es gibt Einschnitte, und die einzelnen Werke müssen beweisen, dass sie Autos auch günstiger bauen können. Zwickau verliert nicht nur die elektrischen ID-Modelle, auch den Cupra Born muss man abgeben und sich auf eine Fertigungslinie konzentrieren. Bleiben soll der Audi Q4 e-tron. Von den über 9000 Leuten, die hier arbeiten, werden es Ende des Jahres 8200 sein, auf unter 5000 Leute könnte der Standort schrumpfen, wird hier befürchtet.
„Die Leute haben allen Grund, sich Sorgen zu machen“, sagt der Ökonom Joachim Ragnitz vom Ifo-Institut in Dresden. Gehe es mit VW hier bergab „dann rechne ich damit, dass der Aufschwung der letzten 30 Jahre ein Ende nimmt“. Ein Schicksal, das wie ein Damoklesschwert über der Region hänge. „Es ist schwer, Erreichtes zurückzudrehen“, sagt Bürgermeisterin Arndt. Die Sachsen seien schon einmal ins Risiko gegangen, und jetzt fühlen die Leute sich verarscht. Der damalige VW-Chef Herbert Diess war mit Angela Merkel hier zur Werkseröffnung, VW-Markenchef Thomas Schäfer erklärte die Einigung. Zuletzt hielten sich die Besuche aus Wolfsburg in Grenzen.
Gut möglich, dass das mit ein Grund für den Grant der Leute hier ist. Im vergangenen September hat die CDU von Ministerpräsident Michael Kretschmer nur knapp vor der AfD die Wahl gewonnen. Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) wurde drittstärkste Kraft. Regiert wird das Bundesland heute von einer schwarz-roten Minderheitsregierung. Arndt zog ohne Parteibuch ins Bürgermeisteramt ein, sie versteht sich als „politisch neutral“.
„Schlechte Nachrichten die ganze Zeit, auch von VW“, seufzt sie. Wie am Schachbrett verlaufen in einem Konzern solche Entscheidungen, das meint hier so mancher. Im Präsidium des Aufsichtsrats sitze kein Sachse, der sich für die Werke hier in die Bresche werfen würde. Anders als in Niedersachsen. Das sieht der Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer ähnlich. Über VW und Niedersachsen hänge „eine Art Schutzglocke“. Das sei schädlich für VW – und die Beschäftigten außerhalb von Niedersachsen zögen „den schwarzen Peter“.
Schlagzahl erhöhen
Es ist eine Mischung aus „Jetzt erst recht“ und Verständnislosigkeit, die einem hier entgegenschlägt. Ronny Zehe ist ein rauer Knochen, eher ein Verbrennertyp. „Sieht man ja“, zeigt der Montageleiter im Werk auf seine Tattoos. Beim Umbau zur E-Mobilität war er ganz vorn dabei. „Was wir hier vier Jahre lang mit Herzblut aufgebaut haben, ist auf einmal nichts mehr wert?“, fragt er. Optimieren, verbessern, Schlagzahl und Output erhöhen, Gewicht verringern, neue Technologien ausprobieren, das treibt die VW-Leute hier um, wenn man sie fragt. Und man habe immer auch auf die Mitarbeiter geschaut. „Das war die Zukunft“, sagt Zehe, als fühle er sich der VW-Familie nicht mehr ganz zugehörig. 204.000 E-Modelle kamen zuletzt aus Zwickau. Es wären mehr möglich. In der Montagehalle wurden ursprünglich die Türen von 36 Mitarbeiter in die Karosserie gehängt, jetzt macht das ein Roboter. So läuft das in der Industrie. Danny Auerswald ist Chef von Volkswagen Sachsen. Er sagt, was man in dieser Position eben sagen muss: „Wir müssen die Kosten senken, produktiver werden, den Grad der Automatisierung noch weiter forcieren. Wir müssen jetzt eben erneut Hausaufgaben machen.“ Dass die Stimmung bei den Beschäftigten derzeit nicht besonders gut ist, bestätigt er auch.
Fast jeder hier hat jemand in der Familie, der beim größten Arbeitgeber in der Region arbeitet. Oft seit Jahrzehnten. Holger Naduschewski weiß auch, wie hart Umbruchzeiten sind. Er hat die Menschen beim Umstieg auf die E-Auto-Produktion im VW-eigenen Bildungsinstitut begleitet. Da war zunächst das große Nichts. Eine neue Fabrik, neue Technologien, Menschen, die es nicht nur zu überzeugen, sondern auch zu qualifizieren galt. „Ein gewaltiges Experiment“, sagt Naduschewski. Von oben nach unten habe man die Leute eingeschworen. Und es wurde umgebaut. „Es ist wie das Umziehen im Kleiderschrank.“ Die Menschen hier seien veränderungsbereit. Das hat er im Sommer 2023 auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier erklärt. Der zollte den Menschen Respekt. Dafür, dass sie am Umbau der Wirtschaft mitarbeiten. „Unser Ziel muss es sein, dass dabei alle etwas zu gewinnen haben“, hat Steinmeier gesagt. Dass das so ist, wird heute bezweifelt.
Max Jankowsky gehört zu den Zweiflern. 800 Unternehmen sind hier mit der Autoindustrie verbunden, 90.000 Beschäftigte. Jankowskys Gießerei ist eines davon. Im Vorjahr hat sie ihr 175-jähriges Bestehen gefeiert. Jankowsky beliefert VW mit Maschinen. Er ist ein Macher. Mit 26 Jahren wurde er Geschäftsführer, mit 30 Präsident der Industrie- und Handelskammer in der Region. „Die Angst ist derzeit da“, sagt er. Man habe Geschäftsmodelle entwickelt, Kredite angefragt. Und jetzt stehe das alles auf tönernen Beinen. Ifo-Ökonom Joachim Ragnitz kann das bestätigen. Vor allem in Zwickau gebe es außer Auto- und Zulieferindustrie wenig. „Wenn der Anker des Automobilnetzwerkes wegbricht, hat das für die Region Auswirkungen.“
Aber hat man nicht die Konkurrenz aus China verschlafen? Zu teuer und am Markt vorbei produziert? Diesen Vorwurf könne man abgesehen vom Management tatsächlich auch der Politik machen, sagt Wirtschaftsforscher Ragnitz. Auch Dirk Vogel, Vertreter der Autozulieferer in der Region, sieht da so einiges. „In China sind die deutschen Autos Rentnerfahrzeuge“, sagt er. Industrievertreter Max Jankowsky pflichtet ihm bei, „auch ohne E hätten wir jetzt eine Autokrise“.
Billiger geht immer
Und nun? Thomas Knabel, IG-Metall-Vorsitzender der Sektion Zwickau, bekommt jetzt auch ein E-Auto. Aber was wird 2030 sein, wenn die Sparpläne vielleicht doch nicht reichen? Das werde er oft gefragt, sagt Knabel. Denn eines sei klar: Billiger gehe es immer. Was also 2030 sei, „kann man nicht sagen“. Ein bisschen wirkt er ratlos und sagt: „Das ist Kapitalismus.“ Die Zukunft sei gestaltbar, „aber es läuft nicht immer so, wie wir wollen“. Gut möglich, dass VW nicht Teil dieser Zukunft sei, sagt er ein bisschen trotzig. Museumsdirektor Thomas Stebich kommt mit seiner Führung zum Ende – da steht ein rosa Trabbi. Stebich glaubt, dass man die Transformation packt. Wie damals, als nach dem Käfer der Golf kam. „Die deutsche Automobil-Geschichte ist noch lange nicht zu Ende.“
Quelle Titelbild: Hendrik Schmidt / dpa / pictured